Julia Buchner aus der 4c errang mit ihrer Geschichte „Der letzte Schrei“ beim diesjährigen Junior- Bachmann-Literaturwettbewerb in ihrer Kategorie, 3.,4., und 5. Klassen, den bemerkenswerten Platz zwei mit nur einem Punkt hinter der Erstplatzierten. (Insgesamt gab es 300 TeilnehmerInnen!)

Die Siegerehrung fand am 27. Mai 2010 im großen Wifi-Saal in Klagenfurt statt, wo die drei Besten jeder Gruppe ihren Text vor ca. 180 BesucherInnen lesen durften. Mehr darüber auf der Homepage des Bachmann Gymnasiums.

Wir gratulieren herzlich zu der hervorragenden Leistung.

Mag. Aloisia Zettl

Der ausgezeichnete Text:

Der letzte Schrei

Die Erkenntnis fiel auf sie ein wie ein junger Falke auf seine Beute: Zuerst lähmt er die Sinne und dann folgt der schmerzliche, unaufhaltsame Tod. Der einzige Grund zu gehen ist, wenn einen niemand mehr bindet und fesselt und man den Grund seines Seins, seine Bestimmung verloren hat.

Seit Jahren weilte sie unter uns, stets im Hintergrund, unauffällig wie ein Schatten an der Wand. Man nahm ihre Stimme nur leise irgendwo von der dunklen Ecke her wahr, in die sie sich verzog, wenn ihr ihre eigene Unbedeutsamkeit zum wiederholten Male vor Augen geführt wurde, doch ihr Gerede war es nicht wert vernommen und bedacht zu werden, wir hielten sie und ihre Meinung für minderwertig, verstanden die Härte hinter ihren Drohungen nicht, ganz im Gegenteil, wir verspotteten und verlachten sie.

Ich erinnere mich noch ganz genau an jenen Morgen, an dem sie das schäbige Klassenzimmer im dritten Stock zum letzten Mal betrat, da trug sie dieses schöne, aber für eine Kreatur wie sie viel zu wertvolle Kleid, das wie maßgeschneidert auf ihren dürren Schultern lag, fast zu schön, um wahr zu sein. Natürlich stach sie damit aus der Menge heraus und für uns, die wir mit gewöhnlichen Jogginghosen auf unseren alten Stühlen lungerten, war das nur einer von vielen Gründen, wie gewohnt herablassende und aufs Tiefste beleidigende Bemerkungen loszulassen.

Zuerst tat sie so, als würden sie unsere Kommentare nicht stören, doch ich spürte förmlich, wie ihr eine Träne ins Auge schoss. Nichts genossen wir so sehr wie unsere Opfer gedemütigt und am Boden zu wissen, doch an diesem Tag war etwas anders als sonst: Trotz des Wissens, dass da niemand hinter ihr stand, um sie zu schützen und unsere Mitschüler alle so dachten wie wir, jedoch nicht den Mumm hatten, den Mund aufzumachen, weiteten sich ihre Lippen, doch das, was herauskam, war weder ein kläglicher, leiser Widerspruch noch ein unentschlossenes „Wenn du meinst...“, wie sie es sonst gelegentlich zu sagen pflegte, sondern ein Aufschrei voller Wut und Trauer. Ich sah aus dem Augenwinkel, wie meinen Freunden weitere Beleidigungen im Hals stecken blieben, doch die Stille hielt nicht lange.

„Ihr werdet das alles noch bereuen.“

Wir schmähten sie nur mit einem oberflächlichen, arroganten Lächeln.

Natürlich spielten sich solche Szenen immer nur in den Pausen ab, während unsere müden Lehrer ihren fünften Kaffee genossen und wir uns ungestört austoben konnten. Wir hatten eine starke Klassengemeinschaft, allerdings waren Streber, Loser und Außenseiter in dieser nicht willkommen und wir gaben unserer Ablehnung gegenüber diesen Gruppen durch verbale, selten auch körperliche Gewalt Ausdruck, viele unserer Opfer bekamen dies mehrmals täglich zu spüren.

Sie war niemand Besonderes, niemand, mit dem wir uns öfter „beschäftigten“ , keine, die sich für etwas Besseres hielt, keine Zugezogene, doch sie war da, wenn wir jemanden suchten, an dem wir unseren schulischen Frust und all unsere Probleme auslassen konnten. Wären wir nur zu zweit oder zu dritt, wären wir nie so mutig und selbstsicher hinter unseren Handlungen gestanden, doch die Gruppe verlieh jedem von uns ein Gefühl von Überlegenheit. Niemals hätte uns jemand verraten, ansonsten wäre ihm eine ähnliche Behandlung widerfahren, und so kam es schließlich, wie sie es uns so oft prophezeit hatte:

Noch am selben Tag hockte sie sich in die dunkelste Ecke ihres Zimmers; ihre Eltern waren nicht zu Hause, als sie eine Kerze entzündete, einen letzten Brief schrieb, der ihr grausames Handeln rechtfertigen sollte, dann holte sie ein Messer aus der Küche, näherte es ihrer rechten Hand und durchschnitt ihre Pulsader.

Stunden später kehrten ihre Eltern nach Hause, konnten aber nur mehr ihren Tod feststellen.

- Am nächsten Tag, noch bevor uns der Direktor die traurige Botschaft überbrachte, wussten alle Bescheid, manche konnten mir nicht mehr in die Augen sehen, andere waren zu geschockt, um zu sprechen, mir fuhr die Nachricht wie ein Blitz in alle Glieder und lähmte mein Gehirn, hatte ich ihren Tod und all die Trauer doch zu verantworten.

Ihre Eltern waren in die Schule gekommen, sie berichteten von den späteren Lebenswünschen und Träumen ihrer Tochter, ich vermochte nicht sie anzusehen, schließlich zogen sie ein weißes Stück Papier aus der Tasche und verlasen den Text:

„Ich fürchte nichts, gehe sorglos meinen Weg, gewiss wird Er mich leiten, ich hoffe nur, diesmal werde ich akzeptiert, wie ich bin, denn es war nicht ich, die gesündigt hat. Seid unbesorgt, ich werde die Herzenskälte vergessen, mit der ihr mich behandelt habt, doch ich bin es nicht, der ihr Rechenschaft schuldet, ich war Tochter, nun hinterlasse ich zwei Eltern, die ihr eigen Fleisch und Blut zu Grabe trage müssen. Ich kann nur hoffen, sie vergessen und ihre Seelen ruhen, denn nicht sie haben gemordet, sie liebten mich und waren stets gut zu mir, nicht jeder kann das von sich behaupten. Ich vergebe euch.“

Wir legten keine Rechtfertigungen ab, wir waren es nicht wert, angehört zu werden. Sie war das Lamm, so fromm, lebensfroh, wir waren ihre Schlächter.

Seid gewiss, wir alle bekamen unsere gerechte Strafe. Wie sie es sich gewünscht hatte, ihre Eltern fanden schließlich ihren Frieden, sie vergaßen und ihre Erinnerungen wurden durch das Alter getrübt, doch ich vergaß nichts, keinen der Tage, an denen wir sie gedemütigt hatten, keine unser Bemerkungen, keinen ihrer enttäuschten Blicke, doch vor allem nicht ihren Schrei. Er hatte einen festen Platz in meinem Ohr gefunden, jedes Glücksgefühl wurde durch ihn getrübt; meine Freunde von damals waren entweder weit weg oder gestorben.

Ich war allein, aber ich war nicht unglücklich; es wäre nicht fair, würde ich ein schönes Leben führen und ihres hatte ich zerstört. Ich hatte mich damit abgefunden, jede Nacht von ihr zu träumen und jeden Morgen von ihrem Schrei geweckt zu werden. Gelegentlich träumte ich sogar von dem wunderschönen Kleid.

Doch die Vergebung, die sie uns schenken wollte, fand ich nie, ich hatte sie auch nicht verdient.

Julia Buchner, 4c

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